Pathophysiologie

Pathophysiologie des F VIII/IX-Mangels

Die aktivierten Faktoren VIII und IX bilden in Anwesenheit von Ca2+ den sogenannten Tenasekomplex, der nach Bindung an Phospholipid-Oberflächen die Aktivierung von FX katalysiert (Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.). FX kann auch durch FVIIa und Gewebefaktor in Gegenwart von Ca2+ aktiviert werden. In der initialen Phase der Blutgerinnung ist dieser Aktivierungsweg vorherrschend. Mit zunehmender Entstehung von Thrombin wird jedoch auch FVIII aktiviert. Gleichzeitig kann FIX durch den Komplex FVIIa/TF/Ca2+ aktiviert werden. Es steht somit der vollständige Tenasekomplex zur Verfügung, der nun an der weiteren Aktivierung von FX teilnimmt. Dieser positive Feedback-Mechanismus wird auch als Josso-Schleife bezeichnet.

Die Biosynthese von FVIII findet vor allem in der Leber statt. Die Bindung an VWF schützt FVIII vor proteolytischer Degradation und rekrutiert ihn an Orte vermehrter Gerinnungsaktivität. Die FVIII-Halbwertszeit beträgt im Plasma 8-12 Stunden. Die Aktivierung erfolgt durch Thrombin, wobei die Bindung an VWF aufgehoben wird. FIX wird vor allem in der Leber, aber auch in Endothelzellen synthetisiert. Die Plasma-Halbwertszeit beträgt 24 Stunden. Infolge des Fehlens oder der Funktionslosigkeit von FVIII oder FIX fällt ein wesentlicher Verstärkungsmechanismus der plasmatischen Gerinnung aus. Während die primäre Blutstillung durch Gefäßkontraktion und Thrombozytenaggregation intakt ist, findet die eigentliche Blutgerinnung ineffizient bzw. verzögert statt. Gefäßdefekte werden deshalb nicht dauerhaft oder verzögert verschlossen, und es kommt zu großflächigen Sickerblutungen in das umliegende Gewebe.

Pathophysiologie seltener Faktorenmängel

Weitere Einzelfaktorenmängel

Es sind Mangelzustände aller anderen Faktoren beschrieben. Diese sind in der Regel noch seltener als die Hämophilie A. Meist werden sie autosomal-rezessiv vererbt und können in einem Fehlen bzw. Mangel an Protein bei normaler Funktionalität (A- bzw. Hypoproteinämie), auf einer gestörten Funktion bei normalen Spiegeln (Dysprotein) oder aber auf einer Kombination beider beruhen. Die Blutungsneigung ist insbesondere abhängig von der basalen Restaktivität, der Blutungslokalisation und der Größe der Wundfläche. Die Blutungsneigung nimmt meist mit der Verminderung des betreffenden Faktors zu, wobei keineswegs nur homozygot Betroffene symptomatisch sind, da eine individuell zum Teil erhebliche Bandbreite der Symptomatik besteht.

A-, Hypo- bzw. Dysfibrinogenämie

Bei der Afibrinogenämie fehlt das Fibrinogen vollständig. Die Erkrankung ist sehr selten, die Betroffenen weisen eine lebenslang bestehende, in Risikosituationen wie Operation, Unfall, Entbindung durchaus schwere Blutungsneigung auf. Bei der Hypofbrinogenämie läßt sich noch eine Residualspiegel feststellen. Die Blutungsneigung ist entsprechend geringer. Dysfibrinogenämien sind qualitative Störungen des Fibrinogens, die mit Blutungen, aber auch mit Thrombosen assoziiert sein können. Von besonderer Bedeutung ist, daß Patienten mit Dysfibrinogenämie und Blutungsneigung unter Substitution mit Fibrinogen Thrombosen entwickeln können, so daß eine gleichzeitige, sorgfältige Thromboseprophylaxe bei diesen unerläßlich ist.

Die Substitution ist mit einem Fibrinogenkonzentrat möglich (Hämocomplettan, Fa. CSL-Behring, Sie erfolgt als Bedarfsgabe, in bestimmten Fällen ist jedoch auch eine regelmäßige Prophylaxe erforderlich. Bei A- oder Hypofibrinogenämie erfolgt die prophylaktische Substitution von Fibrinogen ca. alle 1-2 Wochen (gegebenenfalls engmaschiger, z.B. während Schwangerschaft).

Merke

Der Bedarf für Fibrinogen berechnet sich überschlagsmäßig: Fibrinogendosis (g) = erwünschter Anstieg (g/L) x Plasmavolumen (40 ml/kg KG)

FII-, FV-, FVII-, FX und FXI-Mangel

Sie sind sämtlich sehr selten. Die Blutungsneigung ist unterschiedlich und abhängig von Grad der Verminderung. Meist bestehen im alltäglichen Leben keine relevanten Symptome. Für die Substitution beim FII- und FX-Mangel stehen nur PPSB-Konzentrate bzw. FFP zur Verfügung. Ein FIX-Konzentrat der Firma Aventis-Behring enthält auch relevante Mengen an FX und kann daher bei FX-Mangel eingesetzt werden. Da Thrombozyten sehr viel FV enthalten, können Plättchengebe bei Blutungen infolge eines FV-Mangels hämostyptische Wirkung besitzen. Ein Konzentrat ist nicht verfügbar. Im Gegensatz dazu stehen für die Substitution bei FVII-Mangel zwei Präparate zur Verfügung). Die Blutungsneigung ist in der Regel jedoch gering. Ein FXI-konzentrat ist in Deutschland nicht zugelassen. Als Therapeutikum kommen daher nur FFP oder rekombinanter, aktivierter FVII in Frage.

In der Literatur liegen Berichte über erfolgreiche Behandlung akuter Blutungen sämtlicher oben erwähnter Mangelzustände mittels rekombinantem aktivierten FVII vor, der offenbar ein Hämostyptikum mit breiter Wirkung einschließlich guter Effizienz bei Thrombozytopenien und -pathien und gleichzeitig sehr niedriger Nebenwirkungsrate darstellt. Dennoch sollte vor Gabe ein erfahrener Hämostaseologe konsultiert werden.

FXII-, HMWK- und Präkallikrein-Mangel

Sie verursachen keine Blutungsneigung, gehen jedoch mit einer teilweise erheblichen Verlängerung der aPTT einher, weshalb sie häufig als Zufallsbefund oder beim präoperativen Screening entdeckt werden.

FXIII-Mangel

Er ist selten. Zu beachten ist, daß sämtliche Gruppenteste wie beispielsweise Quickwert, aPTT, Thrombinzeit normal ausfallen (Anamnese!). Bei schwerem Mangel ist die Nachblutungen nach Abfallen der Nabelschnur typisch. Die Blutungssymptomatik ist sehr variabel. Bei ausgeprägten Mangelzuständen kann eine dauerhafte prophylaktische Gabe eines FXIII-Konzentrats erforderlich sein. Da der FXIII eine sehr lange Halbwertszeit hat, sind monatliche Gaben meist ausreichend. Peri- oder postoperativ kann das Intervall bedingt durch Verlust und Verbrauch deutlich kürzer sein.